Familienverfassungen auf dem Prüfstand
Royale Herausforderungen
Seit ein paar Wochen verfolge ich die Serie „The Crown“ auf Netflix. Sie beschreibt die Herausforderungen der königlichen Familie, ihr privates und berufliches Leben miteinander zu vereinbaren bzw. zu trennen, recht gut. Wenn Familien eine gemeinsame Aufgabe und Verantwortung für ein Unternehmen oder eben – wie bei den Royals für ein Land – haben, ist das sehr viel mehr als „nur das gemeinsame managen eines ganz normalen Familienlebens“. Ich finde, in der Serie wird dieser Konflikt zum Beispiel bei der Ehe von Queen Elisabeth und Prinz Philip aber auch bei der „aus königlicher Räson“ verhinderten Ehe von Prinzessin Margaret und Lord Townsend, deutlich.
Megxit
Passend zur historischen Serie „The Crown“ findet hier und heute der Megxit statt. Prinz Harry und seine Frau Herzogin Meghan suchen eine neue Rolle. Die „royale Familienverfassung“ (… ich erlaube mir, die Regelwerke des Königshauses der Einfachheit halber so zu bezeichnen) sieht einen solchen Schritt nicht vor und muss nun überarbeitet werden. Denn es soll ja nicht nur eine „Harry & Meghan-Lösung“ gefunden werden. Man denkt in Jahrzehnten und bei den Royals in Jahrhunderten. Die „neue Rolle“ im Spannungsfeld zwischen privatem und royalem Leben soll auch der nächsten Generation Orientierung und einen Rahmen geben. Geregelt werden die künftige Nutzung von Namensrechten, die Vereinbarkeit oder Trennung privater und royaler Aufgaben und deren Bezahlung beziehungsweise Einschränkungen für die private und berufliche Entwicklung uvm.
Verfassungen für Unternehmerfamilien auf dem Prüfstand
Was sich derzeit im englischen Königshaus ereignet nehme ich zum Anlass, Unternehmerfamilien anzuregen, ihre bestehenden Familienverfassungen auf den Prüfstand zu stellen.
Familienverfassungen werden dynamisch
Der Erarbeitung einer Familienverfassung liegen Fragestellungen zugrunde wie… Was wollen wir als Unternehmerfamilie über die Generationen erhalten, entwickeln und weitergeben? Warum wollen wir das? Was ist uns wichtig? Welche „gemeinsamen Spielregeln“ müssen wir festlegen, um sicherzustellen, dass wir erreichen, was wir erreichen wollen? Wie sehen wir unsere Rolle als Unternehmerfamilie und die Rolle jeder Einzelnen darin? Was bedeutet das für unser Unternehmen und unser Familienvermögen? Auch, wenn sich die Fragen über die Jahrzehnte und Generationen hinweg ähneln, die Antworten hierauf unterliegen dem stetigen Wandel. Die Planungszyklen von Unternehmensstrategien werden nach Aussage vieler Manager immer kürzer. So sehe ich das auch bei Familienverfassungen. Die Gültigkeit einmal getroffener Antworten unterliegt hoher Dynamik und erfordert regelmäßige Anpassung und Weiterentwicklung.
Warum Familienverfassungen regelmäßig auf den Prüfstand sollen
Wertschöpfung nach Innen
Unternehmerfamilien sind eine Kooperation mit „familiärer Bande“ und eine Familienverfassung ist im Grunde nichts anderes als eine Kooperationsvereinbarung von Familienmitgliedern. Früher mag der Schutzgedanke für die Familie im Vordergrund gestanden sein. Es galt, die Kontrolle über das eigene Unternehmen und Vermögen gegenüber Interessen Dritter zu schützen. Sicherheit war ein hoher Motivationsfaktor. Eine starke Familiengemeinschaft sicherte die Existenz und finanzielle Unabhängigkeit der einzelnen Mitglieder. Heute braucht es da schon etwas mehr. Das erlebe ich in vielen Gesprächen – speziell mit der jungen Generation. Sie suchen nach einer Gemeinschaft, die ihnen und ihren Familien Sinn stiftet und sie bereichert. Dann sind sie nicht nur bereit dabei zu bleiben, sie übernehmen dann sehr gerne auch aktiv Verantwortung.
Wertschöpfung nach Außen
Unternehmerfamilien werden auch von außen zunehmend kritisch an ihrem Beitrag im Unternehmen und in der Gesellschaft gemessen. Wie nehmen sie ihre Verantwortung wahr? Welche Werte verfolgen sie? Wie unterstützen sie die Unternehmensentwicklung? Wie agieren sie im gesellschaftlichen Umfeld? Deutlich erlebbar wird dies zum Beispiel bei der Besetzung von Top Management- oder Beirats- bzw. Aufsichtsratspositionen in Familienunternehmen. Kandidaten stellen diese und ähnliche Fragen, deren Antworten ein nicht unwesentlicher Entscheidungsfaktor sind.
Öffnen nach Innen
Wer sich nicht der Zukunft öffnet, verharrt in der Gegenwart. Sich öffnen zielt in mehrere Richtungen. Innerhalb der Familie ist es das Zulassen unterschiedlichster Interessen, Lebensplanungen, Werte & Anschauungen. Wer sich als Unternehmerfamilie nicht dem internen Dialog öffnet, läuft Gefahr, dass Einzelne gehen, weil sie „drinnen keinen Platz mehr finden“. Wenn Ziele, Werte und Regelwerke des Miteinanders in der Vergangenheit entstanden sind und sich nicht der Zukunft öffnen, dann verbleibt dem Einzelnen in der Konsequenz nur der Ausstieg, wenn er für sich und sein Leben keinen Platz mehr im System findet.
Öffnen nach Außen
Das geht einher mit einem zunehmenden Bewusstwerden in vielen Unternehmerfamilien, dass sie für ein erfolgreiches Meistern ihrer heutigen und künftigen Aufgaben gute und starke Partner von außen benötigen. Familienunternehmen öffnen sich gegenüber Fremdmanagern, Kooperationspartnern und vermehrt externen Investoren. Ich wage die Prognose, dass in wenigen Jahren Familienunternehmen neu definiert werden. Heute regeln die Statuten in vielen Familienunternehmen, dass „nur direkte Nachfolger des Gründers auch Gesellschafter werden können“ , um den geschlossenen Gesellschafterkreis eines Familienunternehmens zu sichern. Vielleicht wird diese Reglementierung einer neuen weichen müssen. Gemeinsame Werte, dringend benötigte Qualifikationen, Unternehmergeist, Kapital“ und weitere Kriterien könnten den familiären Inhaberkreis erweitern.
Familienverfassungen sind kein Selbstläufer
Ich habe in den letzten Jahren zahlreiche Unternehmerfamilien – von 5 bis 150 Familienmitgliedern – bei der Erarbeitung ihrer Familienverfassungen unterstützt. Es war für mich persönlich von sehr hohem Wert, Familien beim Ringen um Klarheit, Lösungen und gemeinsame Antworten begleiten zu dürfen. In nahezu allen Fällen hat es die Gemeinschaft gestärkt. Ich kann mich an niemanden erinnern, der die Durchführung eines solchen Projektes im Nachgang bedauert hat. ABER! Meist war die Luft danach einfach raus. Die Arbeit fordert und kostet Kraft. Das macht man nicht einfach nebenher und mancher Knoten löst sich nicht von selbst. Kurzum, ich habe zutiefst Verständnis dafür, dass man nach „der feierlichen Verabschiedung der eigenen Familienverfassung“ erst einmal nichts mehr davon wissen möchte. Sind alle Themen und Fragen einmal abgearbeitet und das Ergebnis niedergeschrieben, so droht die Gefahr, dass das Werk in der Schublade verschwindet und verstaubt. Dann soll es am besten die nächste Generation in die Hand nehmen und die können dann ja weiter daran arbeiten oder gleich eine neue Verfassung schreiben.
TÜV für Familienverfassungen
Deshalb bräuchte es so etwas wie einen TÜV für Familienverfassungen. Die oben erwähnten Fragestellungen sollten in regelmäßigen Abständen auf den Tisch kommen. Ziele, Werte und Spielregeln werden auf deren Aktualität, Angemessenheit und Wirksamkeit überprüft. Mit abschließendem Blick auf das englische Königshaus: vielleicht hätte es dann keinen Megxit gegeben. Die Vereinbarkeit der Wünsche und Erwartungen der jungen Familie mit den royalen Strukturen und Regeln hätte in Ruhe besprochen und aufeinander abgestimmt werden können. Die Intervention und der Konflikt wäre möglicherweise vermeidbar gewesen. Denn, so lese ich es heute Morgen in der Zeitung, nun läuft alles auf ein Machtwort der Queen hinaus und Prinz Harry scheint seinen Job in der royalen Firma los zu sein, was, wie man liest, so gar nicht seine Absicht war.
Über den Autor
Der Family Business Advisor Toni Plonner berät seit über 25 Jahren Unternehmer/innen und Unternehmerfamilien und gilt als einer der erfahrensten Berater für Familienunternehmen. Zudem ist er als Beirat und Aufsichtsrat in namhaften Familienunternehmen tätig.
Persönlicher Kontakt: tp@plonner.de