In diesem Blogbeitrag betrachte ich die Transformation eines Familienunternehmens in eine Zukunft nach dem Ausstieg der Unternehmerfamilie aus ihren Unternehmen. Wie geht es nach dem Rückzug aus dem eigenen Unternehmen weiter? Was geht, was bleibt, was kommt? Bei diesem Thema verknüpft sich meine eigene Biografie mit den vielen Familienunternehmerinnen und Familienunternehmern, die ich in den letzten Jahren und Jahrzehnten kennengelernt habe. Somit werde ich diese Transformation auch anhand meiner eigenen Erfahrungen darstellen, weil ich dieses hochspannende Thema nicht nur theoretisierend vertiefen sondern sehr praktisch anschaubar machen will. Ich möchte Ideen und Impulse geben, worauf es ankommen kann und denen, die vor einem solchen Schritt stehen, Mut machen und ihnen eine spannende Reise wünschen.
Ende oder Transformation
Die Vielzahl von unternehmerischen Family Offices, welche in den letzten Jahren entstanden sind, zeigt den Wandel hin zu neuen Unternehmensformen für die Zeit nach dem Ausstieg. Haniel und andere ehemals große Familienunternehmen richten sich neu aus als Family Equity Unternehmen und schaffen dadurch Werte für Generationen. Aus meiner Sicht wird man ihnen nicht gerecht, wenn man sie auf die reine Verwaltung ihres Vermögens reduziert. Die glaubhafte Weiterführung von Werten und auch gelebtem Unternehmertum bilden den Handlungsrahmen innerhalb dem sie agieren.
Der Grat zwischen dem „Ende als Familienunternehmen“ und seiner Transformation ist schmal
Letztlich wird das sehr subjektiv gesehen und die Antwort darauf liegt im Auge des Betrachters. Für meinen Fall, das will ich vorwegnehmen, sehe ich es als unternehmerische Transformation, wenngleich das Menschen in meiner Familie und in meiner Umgebung anders sehen mögen.
Der Erhalt und die Weiterentwicklung von Unternehmertum und Unternehmergeist sind Indikatoren für eine Transformation. Unternehmertum zeigt sich meines Erachtens nicht nur im „Führen eines Unternehmens“ sondern kann ideelle, soziale bis hin zu künstlerischen Formen annehmen. Ich würde es wie folgt definieren: der Einsatz der eigenen Arbeitskraft und darüber hinaus des eigenen Kapitals mit eigenem Risiko, um im Rahmen von Organisationen oder Projekten identifizierte Chancen aktiv und innovativ wahrzunehmen und damit einen materiellen und/oder ideellen Mehrwert zu schaffen.
Ein Blick in die Zukunft lässt die mögliche Notwendigkeit zu radikalen Veränderungen erahnen
Wie wird die fortschreitende Digitalisierung unsere Lebens- und Arbeitswelten verändern? Welche neuen Rahmenbedingungen werden klimaschützende Regularien setzen? Wie funktioniert Mobilität in der Zukunft und wie werden wir uns bewegen? Was wird uns in unserer Freizeit beglücken? Welche neuen Formen von Lebensgemeinschaften entstehen? Wie werden die Menschen ihr Zusammenleben organisieren, einander helfen und unterstützen? Wie schnell wird sich das alles verändern? Wie werden Kipppunkte wie zB Pandemien, Kriege oder andere Krisen als Beschleuniger in die verschiedenen Lebensbereiche hineinwirken?
Familienunternehmen sind in doppelter Sicht betroffen… eine freie Gedankensammlung
Was verbindet in der Zukunft?
Wird es noch die Gestalt des Familienunternehmens geben so wie heute? Was wird das „verbindende Element“ in Unternehmen in der Zukunft sein… ist die Familienbande noch wirksam oder ist es vielmehr eine unternehmerische Idee und Vision? Stehen Startups für künftige Unternehmensformen, in denen die familiäre Bande keine Rolle mehr spielt und ersetzt wird durch eine „gemeinsame Idee und Vision“? Ist das Bindeglied eine politische oder geistige oder religiöse Wertebasis? Wird die räumliche Nähe, die Nachbarschaft das Fundament für gemeinsame unternehmerische Aktivitäten sein? Werden sich Familien weiterhin über Generationen hinweg in einem gemeinsamen Unternehmen zusammenschließen oder werden Menschen dies künftig im Rahmen von Projektgemeinschaften nur für den Zeitraum tun, den es dauert, eine definierte Aufgabenstellung zu erledigen?
Welche Rolle spielt das gemeinsam investierte Kapital in der Zukunft?
Der Anteil des tertiären Sektors Dienstleistungen und andere hat sich seit 1950 von ca. einem Drittel auf nunmehr ca. 75% im Jahr 2020 mehr als verdoppelt. Deren Geschäftsmodell dürfte weithin als asset light definiert sein mit der Folge, dass die Bedeutung des investierten Kapitals und somit dessen Bindungswirkung im Unternehmen abnimmt. Sharing economy ermöglicht schon heute, Anlagen und Betriebsausstattungen für einen definierten Zeitraum zu mieten. Rent statt Invest. Die Gemeinschaft von Menschen, die ein Produkt erstellen oder eine Dienstleistung erbringen, werden neue Organisationsformen bilden, in denen nicht mehr das Kapital die Eintrittskarte ist sondern die Kompetenz oder der Beitrag zu ideellen Werten. Bereits heute sind Stiftungen und Verantwortungsunternehmen im Vormarsch, in denen quasi sich das Unternehmen selbst gehört und betriebliches Vermögen vor dem Zugriff von Finanzinvestoren geschützt wird. Familienbande und gemeinsam investiertes Kapital sorgen in vielen Familienunternehmen noch heute für den Zusammenhalt. Wie wird das morgen und übermorgen sein?
Die richtigen Weichen stellen, auch wenn diese zu radikalen Veränderungen führen
Was bringt die Zukunft und was sollten bzw. welche Weichen müssen die Verantwortlichen in Familienunternehmen heute, morgen und übermorgen stellen, so dass sie auch in Zukunft erfolgreich unternehmerisch tätig sind… in welcher Form auch immer. Meine persönliche Meinung ist, dass Familienunternehmen sich radikal hinterfragen und die Konsequenzen daraus ziehen sollten, wenn sie nicht von der Zukunft eingeholt und überrollt werden wollen. Dazu will ich Mut machen… es lohnt sich!
Transformation im Familienunternehmen Plonner
In meinem Fall handelt es sich um den Übergang eines mittelständischen Familienunternehmens in 4. Generation hin zu den heutigen und künftigen unternehmerischen Aktivitäten. Wie schon der Titel dieses Beitrags andeutet, finde ich es spannend zu erleben, wie Werte erhalten bleiben und sich weiterentwickeln auch in einer Zeit radikaler Veränderungen.
Spurensuche im eigenen Familienunternehmen
Veränderungsbereitschaft…
gegründet im Jahr 1899 von Leonhard Plonner als Handwerksbetrieb, entwickelten sich die Geschäftstätigkeiten über 4 Generationen als ein Spiegel der technologischen und wirtschaftlichen Entwicklungen vom Handwerksbetrieb hin zu einem mittelständischen Dienstleistungs- und Handelsunternehmen. Der Rückzug aus dem Unternehmen folgte dem nüchternen Erkennen, dass die eigenen finanziellen Ressourcen nicht ausreichen würden, ein für das eigenständige und unabhängige Bestehen im sich konsolidierenden Markt notwendiges Unternehmenswachstum zu finanzieren.
Bürgerliches Engagement…
prägend war die, über die Tätigkeit im eigenen Geschäft hinausgehende aktive Teilnahme und Mitgestaltung des politischen Lebens der Familienunternehmer der ersten beiden Generationen als Gewerberat und Bürgermeister.
Immobilien…
Erwerb und Entwicklung von Immobilien war eine Konstante über 4 Generationen, zunächst als Geschäftsimmobilien für die eigenen betrieblichen Tätigkeiten und später für Vermietung und Verpachtung an Dritte.
Innovation…
der Aufbau eines auf die Beratung für Familienunternehmen spezialisierten Beratungsunternehmen in der 4. Generation war zunächst dem Innehalten, Reflektieren und Aufarbeiten der eigenen Geschichte nach dem Ausstieg aus den operativen Gesellschaften geschuldet. Sehr schnell wurden aber die unternehmerischen Chancen für diese neue und innovative Dienstleistung erkannt und erfolgreich wahrgenommen.
Werte über Generationen
Was ist die Essenz hinter den identifizierten Spuren? Welcher „rote Faden“ führt aus der Vergangenheit in die Zukunft? Leitfragen, die ich mir immer gestellt habe, lauten: Wie werden meine Kinder und Enkel auf die 4. Generation zurückblicken? Was werden sie sagen, wird das Familienunternehmen gewesen sein und wie werden sie die Transformation aus ihrer Perspektive beschreiben? Welche Werte wird die Enkelgeneration mit Blick auf ihre Vorfahren als wichtig und wertvoll erkennen, um sich an ihnen zu orientieren?
Vom Familienunternehmen zum FamilienUnternehmertum
Wenn nicht das Unternehmen die Konstante ist, was kann es dann sein? Zuallererst ist es Unternehmertum, so hat es einmal ein von mir sehr geschätzter Familienunternehmer ausgedrückt: “Es geht nicht darum ein Unternehmen weiterzugeben sondern darum Unternehmertum in die nächste Generation zu tragen“.
Das Familienunternehmen Haniel nennt es Enkelfähigkeit und ist für mich damit ein Vorbild für eine gelungene Transformation familienunternehmerischer Aktivitäten unter Beibehaltung oder sogar Stärkung der inneren Werte. Mit Blick auf die Zukunft wird ein Beitrag für den langfristigen Erhalt von Lebensgrundlagen auf unserem Planeten geleistet und ein Fundament und Rahmenbedingungen für die nächsten Generationen geschaffen, so dass diese der Verantwortung auch in der Zukunft gerecht werden können, um sie weiterzutragen. Es geht um den Erhalt von Unternehmertum und nicht um das Festhalten an Organisationsformen. Der Identitätswechsel vom Familienunternehmen zum FamilienUnternehmertum ist der Kern unserer Transformation und die Brücke über die Generationen.
Das Leitbild: der ehrbare Kaufmann
Welche Werte haben sich im Laufe der 4 Generationen Plonner entwickelt und sollen auch in Zukunft innere Orientierung geben? Welchen Werten fühle ich mich aus der Vergangenheit verpflichtet und möchte sie gerne auch an die nächsten Generationen weitergeben? Ich habe das schon vor einigen Jahren in meinem Leitbild des ehrbaren Kaufmanns zusammengetragen:
- Verantwortung übernehmen für sich selbst und für andere, egal in welcher Rolle und welchem Kontext man unterwegs ist… Unternehmer, Politiker, Vermieter, Bürger, Berater und als Mensch
- Achtsam sein, hinschauen, Dinge benennen und wenn nötig verändern und dabei das große Ganze nicht aus dem Blick zu lassen
- Ehrlichkeit, sich selbst gegenüber und gegenüber Dritten
- Vertrauen als Währung: man muss es sich erwerben und zurückzahlen
Diese Werte waren und sind mein innerer Kompass und haben mich in kritischen und schwierigen Phasen geleitet und mir Kraft und Orientierung gegeben. Und ich bin sicher, dass dies ausstrahlte auf Dritte, meine Familie, Mitarbeiter, Kunden und Geschäftspartner im Unternehmen und andere, die mich auf meinem Weg begleiteten.
Neue Vision entwickeln – Räume, in denen wir in Zukunft leben und arbeiten werden
Bestehendes entwickelt sich weiter, indem die bereits vorhandenen Fäden sich bündeln und bereits betretene Pfade weiterbeschritten werden. Es soll den Spuren gefolgt werden, welche zum Teil schon weit zurückliegen. Diese sind wohl auch meiner Herkunft aus einem Familienunternehmen geschuldet. Es geht mir um die Integration von Leben und Arbeiten und es geht um Räume. Eine Fragestellung, die aus meiner Sicht heute aktueller denn je ist und auf die wir aufgrund der großen Veränderungen inmitten derer wir uns bereits befinden gute Antworten und Lösungen finden müssen.
Gemeinsam mit anderen will ich einen Beitrag dazu leisten, mit innovativen Konzepten bestehende und neue Immobilien weiterzuentwickeln um Leben und Arbeiten fein aufeinander abgestimmt zu integrieren und zu fördern mit Blick auf eine möglichst ressourcenschonende Umsetzung, um Lebensgrundlagen für die nächsten Generationen zu erhalten.
Wahrlich eine große Vision, die es in kleinen Schritten zu erlangen gilt und die ohne aktives Vernetzen nicht zu erreichen ist. Zielgerichtete Beteiligungen, zB an proptech Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette von Immobilien sollen eine Digitalisierung von Management, Bewirtschaftung und Nutzung unterstützen.
Erfolgsfaktoren für eine erfolgreiche Transformation
Was war für mich hilfreich auf meinem Weg vom operativen Familienunternehmen in eine neue Zukunft und welche Erfahrungen würde ich anderen gerne weitergeben:
Den Zeitpunkt nicht verpassen
sich vor den Veränderungsprozess zu stellen und ihn von vorn zu gestalten. Die Signale, welche auf eine notwendige Veränderung hinweisen, rechtzeitig und richtig zu deuten, um eine eigene freie Entscheidung treffen zu können und diese selbstbestimmt und ohne äußere Zwänge umzusetzen.
Der eigenen DNA auf der Spur
Eine Transformation ist Ende und Anfang zugleich. Es ist eine Bruchstelle und Bruchstellen sind Fundstellen. Es tritt zum Vorschein, was manchmal schon verloren oder zumindest verborgen war. Das bringt auch die Werte zum Vorschein und diese geben den inneren Kompass wenn es für eine bestimmte Wegstrecke keine äußeren Leitplanken gibt.
Standortwechsel
Es kann hilfreich sein, den eigenen Lebens- und Arbeitsmittelpunkt zu verändern, um Abstand und Distanz zu bekommen.
Neu ordnen
Bestandsaufnahme, das große ganze Bild in viele kleine und kleinste Stücke zu zerlegen, um es neu zu ordnen und in veränderten Konstellationen wieder aufzubauen
Geschichten erzählen
sich in eine neue Identität hineinzuentwickeln gelingt gut über Geschichten, die man erzählt. Was erzähle ich Geschäftspartnern, in meiner Familie, im persönlichen Umfeld? Spinne ich unternehmerische Ideen weiter und bleibe neugierig, offen… mutig?
Sich neu ausrichten
Steht das eigene Kapital oder die eigene Arbeitskraft im Mittelpunkt der künftigen unternehmerischen Aktivitäten… oder beides? Was ist das Gewünschte und Optimum für einen selbst?
Desinvestieren und investieren
Den Transformationsprozess immer auch sehr nüchtern als Vermögensumschichtung verstehen. Desinvestieren in Folge von Verkauf oder Beendigung des laufenden Geschäftes um in einer vorübergehenden “Hold Position“ Ausschau nach neuen Investitionen und unternehmerischen Aktivitäten zu halten.
Es lohnt sich immer
Ich erlebe in Familienunternehmen immer auch so etwas wie die Absicht, sichere Lebensgrundlagen für die eigene und künftigen Generationen zu schaffen. Das macht sie nachhaltig und liebenswert. Es drückt sich in dem schönen Satz aus „… wir haben die Welt von den uns Folgenden geborgen“. Vielleicht ist es gerade das, was ein Familienunternehmen lehren kann und es ist dieser Geist, der seine Spuren hinterlässt. In Familienunternehmen stecken die Gene einer gelebten Treuhänderschaft für die nächsten Generationen und diese verlangt auch den Mut und die Fähigkeit zum radikalen Wandel. Mein Weg ist einer von vielen und soll hier nur zur Anschauung dienen. Manche führt dieser Weg hinein in eine wissenschaftliche oder musische oder philanthropische oder andere Zukunft. Mich persönlich hat dieser Weg reich gemacht an neuen Einsichten und Erfahrungen, in der Begegnung mit wertvollen und interessanten Menschen, neuen Perspektiven auf das eigene und unser aller Leben, neuen unternehmerischen Aktivitäten und vielem mehr. Es hat sich gelohnt.
Über den Autor:
Der Family Business Advisor Toni Plonner berät seit über 25 Jahren Unternehmer/innen und Unternehmerfamilien und gilt als einer der erfahrensten Berater für Familienunternehmen. Zudem ist er als Beirat und Aufsichtsrat in namhaften Familienunternehmen tätig.