Grenzwerte verschieben in Familienunternehmen
In der Welt der Familienunternehmen stehen Tradition und Entwicklung oft in einem spannungsreichen Verhältnis zueinander. Während die traditionellen Werte das Fundament bilden, sind fortlaufende Entwicklungen entscheidend, um sich an sich wandelnde Märkte und Technologien anzupassen. Ein anschauliches Konzept in diesem Zusammenhang ist der „Grenzwert“. In mathematischen und physikalischen Kontexten beschreibt der Grenzwert den Punkt, dem sich eine Funktion immer weiter annähert, ohne ihn je vollständig zu erreichen. Übertragen auf Familienunternehmen symbolisieren Grenzwerte jene Momente, in denen signifikante Veränderungen notwendig sind, um langfristig erfolgreich zu bleiben.
Entwicklungen im Familienunternehmen: Mehr als nur Produktanpassungen
Entwicklungen in Familienunternehmen umfassen nicht nur technologische Fortschritte, sondern auch strukturelle und kulturelle Veränderungen. Ein Beispiel hierfür ist die Einführung eines Gesellschafterausschusses, der eine handlungsfähige Entscheidungsfindung sicherstellt. Diese Maßnahme hilft, die wachsenden Herausforderungen eines größeren Gesellschafterkreises effektiv zu bewältigen.
Ein weiteres Beispiel ist das erste „Wochenend Camp“ der jungen Gesellschaftergeneration, das der Teamentwicklung und der Professionalisierung in gesellschafterlichen Themen dient. Solche Initiativen fördern den Austausch und helfen, eine gemeinsame Vision zu entwickeln.
Ein markanter Schritt ist die Entscheidung von Eigentümern, sich aus der operativen Führung zurückzuziehen und ihre Rolle neu zu definieren. Diese Neuausrichtung zeigt, dass Entwicklung nicht nur ein technisches, sondern auch ein strategisches und organisatorisches Konzept ist. Klare Konzepte für den Ausstieg von Gesellschaftern oder die Aufnahme familienfremder Gesellschafter sind ebenfalls Beispiele für die aktive Verschiebung der Grenzwerte im Unternehmen.
Grenzwerte verschieben: Das Wesen des Unternehmertums
Die Idee des Grenzwerts lässt sich auch auf das Verhältnis zwischen Tradition und Entwicklung anwenden. Unternehmen, die tief in ihren Traditionen verwurzelt sind, laufen Gefahr, stagnieren zu können, wenn sie ihre Grenzwerte nicht aktiv verschieben. Dies erfordert eine bewusste Auseinandersetzung mit Veränderungen und eine Offenheit für neue Ansätze.
Ein eindrucksvolles Beispiel ist die Entscheidung eines Familienunternehmens, von der Produktion hochwertiger, künstlerischer Produkte für eine elitäre Zielgruppe abzuweichen und in ein neues Geschäftsmodell zu investieren, das sich auf Commodity-Produkte konzentriert. Diese Entwicklung war für frühere Generationen unvorstellbar, zeigt jedoch, wie Unternehmen ihre Grenzwerte neu definieren können, um den Herausforderungen des Marktes gerecht zu werden.
Tradition als Blockade? Die Rolle von Feedback und externer Expertise
Eine der größten Herausforderungen für Familienunternehmen besteht darin, sich nicht von ihren Traditionen und ungeschriebenen Gesetzen fesseln zu lassen. Diese können Entwicklungen blockieren und verhindern, dass das Unternehmen seine Grenzwerte erweitert. Hierbei ist es entscheidend, auf das Feedback von außen zu hören und es aktiv in den Entwicklungsprozess zu integrieren. Dazu können die nächste Generation, Geschäftspartner, Kunden und Mitarbeiter gehören. Der Wert dieser „kritischen und wohlmeinenden Stimmen“ kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Sie bieten oft die Perspektive, die notwendig ist, um bestehende Grenzwerte zu hinterfragen und zu verschieben.
Mein Fazit: Die Kunst der Grenzwerterweiterung
Familienunternehmen stehen vor der ständigen Herausforderung, ihre Grenzwerte zu erkennen und zu verschieben, um zukunftsfähig zu bleiben. Ich finde das Bild des „Grenzwerts“ besonders treffend, weil es veranschaulicht, wie bestehende Grenzen erweitert werden können – und müssen – um Entwicklung zuzulassen. Es erfordert Mut und Weitsicht, Traditionen zu hinterfragen, ohne sie zu verraten. Der Schlüssel liegt darin, Veränderungen mit Klarheit und einem tiefen Verständnis für die eigenen Werte voranzutreiben. Für mich sind Entwicklungen nicht nur technischer oder produktbezogener Natur, sondern auch strukturelle und kulturelle Transformationen. Genau darin sehe ich die wahre Kunst des Unternehmertums in Familienunternehmen – die Fähigkeit, mit der Zeit zu gehen und gleichzeitig die eigene Identität zu wahren.
Über den Autor:
Toni Plonner gilt als einer der erfahrensten Berater für Familienunternehmen. Zudem ist er als Beirat und Aufsichtsrat in namhaften Familienunternehmen tätig.